Wird die Lufthansa Group bald ein wenig italienischer? Ein wenig portugiesischer? Oder verfolgen wir seit nun eineinhalb Jahren eine Übernahme, die zum Scheitern verurteilt ist?
Was macht man, wenn man gerade in einem Lufthansa-Flugzeug sitzt und über Italien überfliegt? Richtig! Man kann nicht anders, als an das ewige Hin und Her bei der Übernahme von ITA Airways denken. Genau deswegen habe ich nochmal einen Blick in unser Archiv geworfen und wollte die wichtigsten Geschehnisse gedanklich sortieren. Warum zieht sich der ganze Prozess so sehr? Wird Lufthansa ITA am Ende doch gar nicht übernehmen, sondern den Fokus auf TAP Air Portugal legen? Fragen, die man sich stellt, wenn nach und nach die Fristen für die ITA-Übernahme verstreichen.
Kritik an den Expansionsplänen
Vor nun mehr als eineinhalb Jahren berichteten wir darüber, dass die Lufthansa 40 Prozent der ITA Anteile übernehmen möchte. Seitdem war es unzählige Male schon “kurz davor” – doch so richtig den Sack zumachen möchte die Lufthansa nicht.
Das wurde auch auf der Lufthansa Hauptversammlung Anfang Mai noch einmal deutlich. Carsten Spohr, der erst wenige Wochen zuvor als Vorstandsvorsitzender bestätigt wurde, musste sich hier einiges an Kritik von den Aktionären anhören. Dies liegt nicht nur daran, dass zu dem Zeitpunkt bereits die erste Frist zur ITA-Übernahme abgelaufen war, sondern daran, dass die Aktionäre den Sinn von dieser generell infrage stellen.
Wir glauben nicht, dass sich die Übernahme der defizitären italienischen ITA für die Aktionäre auszahlen wird. […] Mehr Komplexität frisst Rendite.
Pontzen, Aktionär
Sie glauben nicht an die schönen Bilder vom florierenden Lufthansa Group Drehkreuz in Rom, unzähligen neuen Verbindungen und einem weiteren Schritt in Richtung europäischem Airline Giganten. Sie sehen die Gefahr, dass die italienische Staatsairline ITA, die bereits als Alitalia defizitär war, auch das Ergebnis des Konzerns negativ beeinflussen wird. Mittlerweile ist auch die zweite Frist verstrichen.
Ist dann TAP Air Portugal die bessere Wahl? Auch die portugiesische Airline wird von der Lufthansa Group umgarnt – und umgekehrt. In der Zeit, als es so aussah, dass Lufthansa die ITA ziemlich sicher verloren hätte und die Airline an die Konkurrenz aus Air-France KLM und Delta gehen würde, verkündete der Kranich nämlich wieder Interesse an TAP. Hier war eine Übernahme ebenfalls schon einmal gescheitert, damals aber Berichten zufolge vor allem durch den Beginn der Corona-Pandemie.
Was machen TAP und ITA für die Lufthansa attraktiv?
Doch warum will Lufthansa überhaupt strauchelnde Airlines übernehmen? Hier geht es vor allem um Marktmacht, denn im Laufe der Jahre hat sich die Lufthansa immer mehr von einer deutschen zu einer europäischen Airline gewandelt. Der Fokus liegt ganz klar auf Expansion und darauf, mit der Lufthansa Group Europas Flugverkehr zu dominieren.
Einige erfolgreiche Übernahmen hat die Lufthansa Group ja bereits hinter sich. Doch sowohl TAP als auch ITA sind beides noch einmal wirklich grosse Hausnummern. Interessant finde ich auch den Aspekt, dass sich die Lufthansa, die sonst eigentlich ein grosser Verfechter von Airline-Allianzen ist, scheinbar gar nicht mehr so auf Partnerschaften unabhängig agierender Airlines aus ist, sondern sich selbst eine Mega-Airline Gruppe bauen möchte.
Natürlich bringen TAP und ITA aber auch einige Dinge mit, die für die Lufthansa Group von Interesse sind. Das sind zum einen die Flotten der Airlines, aber sicherlich noch mehr das Streckennetz. TAP ist in Richtung Brasilien sowie auf dem afrikanischen Kontinent sehr stark. Mit ITA möchte die Lufthansa vor allem das Drehkreuz Rom-Fiumicino erschliessen, als auch den Transatlantikverkehr nach Nord- und Südamerika ausbauen – doch hier hat ITA bisher noch gar nicht so viele Marktanteile, sodass es ein ganzes Stück Arbeit für den Konzern wäre, dies auszubauen.
Wem schenkt die Lufthansa ihr Herz?
Generell scheinen mir Übernahmen in dieser Grösse ein gewagter Schritt, nur so kurze Zeit nach der Pandemie – in der die Luftfahrt in der grössten Krise aller Zeiten steckte. Ist es eine gute Idee, Airlines zu übernehmen, die selbst für etliche Krisen stehen? TAP befindet sich aktuell im Restrukturierungsverfahren, hat allerdings 2022 in diesem Rahmen sogar wieder profitabel operieren können und einen Nettogewinn von 65 Millionen Euro erwirtschaftet. ITA hingegen beendete das Jahr 2022 mit einem Verlust von 486 Millionen Euro. Die Bedenken der Aktionäre sind also durchaus nachzuvollziehen.
Noch mehr als die Bedenken der Aktionäre stelle ich mir allerdings die Frage, wie sinnvoll ein oder gar zwei weitere Drehkreuze für den Konzern noch sind. Mit Frankfurt, München, Zürich, Wien und Brüssel gibt es bereits fünf grosse Hubs und diese sinnvoll mit Regionalverbindungen zu versorgen wird dadurch sicherlich nicht einfacher. Immer wieder bekommen wir es mit, dass Zubringeflüge in letzter Minute gecancelt oder Passagiere umgebucht werden. Mit einem weiteren Drehkreuz würde sich die Komplexität des Lufthansakonstrukts noch weiter vergrö´ssern.
Wem die Lufthansa eigentlich ihr Herz schenken sollte? Wenn es nach mir ginge, keinem der beiden – sondern dem Kernprodukt. Statt grossen Expansionsplänen wäre ein Fokus auf das bestehende durchaus sinnvoll. Natürlich wurden in jüngster Vergangenheit mit der Ankündigung der Allegris Kabine einige langersehnte Punkte (in der Theorie) umgesetzt, doch gibt es noch immer viele weitere Baustellen, in die der Konzern seine Energie stecken könnte und sollte.
Doch dass die Lufthansa keine der Airlines übernimmt, halte ich für unwahrscheinlich. Dafür ist der Wunsch nach dem Ausbau zu gross, wenn man sieht, wie hartnäckig der Kritik entgegengehalten wird. Ich denke, am Ende muss sich die Lufthansa – vorerst für eine der beiden Airlines entscheiden. Sollte der ITA-Deal tatsächlich durchgehen, dann sollten die Gespräche über TAP sinnvollerweise nicht weitergeführt werden, da es sicherlich genug Arbeit wird, ITA so zu integrieren, dass sie dem Konzern keine Milliardenverluste einfliegt. Und das geht sicherlich nicht, wenn man die Fühler parallel schon zu weiteren potenziellen Mitgliedern der Lufthansa Patchwork-Familie ausstreckt.