Seit Anfang des Jahres gab es schon ein gutes Dutzend Streiks, die Reisende betroffen haben – doch all das dürfte nur der Anfang sein, denn im Laufe der nächsten Monate drohen noch gravierendere Streiks.
Am Wochenende kam kurz Freude auf: verdi hat sich mit den kommunalen Arbeitgebern auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Doch wer ins Kleingedruckte blickt, dem fällt auf, dass die Einigung nur mit den kommunalen Arbeitgebern erzielt wurde. Während Erzieher, Busfahrer oder Feuerwehrleute also erst einmal nicht mehr streiken werden, ist mit den Arbeitgebern an den Flughäfen noch keine Lösung gefunden. Die Streiks an den Airports gehen damit wohl auch in den nächsten Wochen weiter und dürften nur der Anfang sein, denn im Laufe des Jahres droht noch mehr Ungemach.
Unübersichtliche Streiks im Reisesektor
Das grösste Problem für Reisende ist sicherlich, wie viele unterschiedliche Tarifverträge entlang der Reisekette existieren. Gut zeigt sich das etwa am Beispiel des Flughafens BER in Berlin, denn hier wurde noch im Februar die Einigung von verdi mit drei Unternehmen, darunter der Dienstleister Wisag, erzielt. Dennoch wird aktuell schon wieder gestreikt, was daran liegt, dass sich verdi noch nicht mit dem Flughafenbetreiber geeinigt hat, der wiederum andere Mitarbeiter unter Vertrag hat. Unter die Einigung für kommunale Beschäftigung zählen diese wiederum aber auch nicht. Dass es dann auch noch die Flughafenfeuerwehr gibt, die wieder in einen anderen Bereich fällt, passt gut ins Bild.
Das Problem daran setzt sich anhand der gesamten Kette fort, denn selbst wenn sich verdi einmal hinsichtlich des Bodenpersonals der Flughäfen geeignet haben mag, dürfte es bald so weit sein, dass auch das Bodenpersonal der Airlines – etwa der Lufthansa – wieder mit einem neuen Tarifvertrag an der Reihe ist. Für diese mag durch einen Tarifabschluss im letzten Jahr genauso wie für das Personal an Bord, das auch wieder gesondert behandelt wird, noch eine Friedenspflicht bis Ende des Jahres gelten, doch auch hier dürfte es potenziell 2023 wieder heiss werden. Noch nicht erwähnt haben wir hier die Pilotengewerkschaft Cockpit, die schon früher wieder dran ist.
Dieselbe problematische Logik zeigt sich auch bei der Deutschen Bahn, denn auch hier gibt es zwei mächtige Gewerkschaften, die jeweils für sich den Betrieb lahmlegen können. Streikt die EVG können die Züge wegen fehlenden Bordpersonals, aber auch Mitarbeitern an den Stellwerken oder in Reisezentren nicht fahren. Streikt die Lokführergewerkschaft GDL fehlt es an Lokführern, welche die Züge steuern können – in beiden Fällen wird der Betrieb fast komplett lahmgelegt. Das wiederum trifft dann auch den öffentlichen Nahverkehr, der zumindest im Sinne der S-Bahn oft mindestens teilweise von der Deutschen Bahn betrieben wird. Streikt dann einmal keine Bahngewerkschaft, sind es die kommunalen Verkehrsbetriebe, wie es in den nächsten Tagen erneut der Fall ist.
Deutschland erwartet kein ruhiger Monat
Nun mag aktuell viel zusammen kommen, denn neben den Mitarbeitern der Deutschen Bahn streiken eben mehr oder weniger gleichzeitig auch die Angestellten an den Flughäfen und die Mitarbeiter kommunaler Betreiber von öffentlichem Nahverkehr. Doch auch wenn diese Parallelität vermutlich in den nächsten Monaten weniger wird, sobald es eine Einigung im schon lange andauernden Tarifstreik in allen Bereichen gibt. Doch sobald dieser erreicht wird, dürfen Reisen sich schon auf die nächsten Arbeitsniederlegungen einstellen. Dabei könnte es sogar noch schlimmer kommen, denn im Laufe des Jahres laufen gleich zwei Tarifverträge aus, auf die man besonders schauen muss.
Zum 30. Juni endet die Friedenspflicht der bekanntlich dem Streik zugewandten Piloten der Lufthansa, die noch im letzten September gestreikt haben. Gerade einmal zehn Monate Friedenspflicht machen deutlich, dass man bei den Piloten eine scharfe Auseinandersetzung erwarten darf. Mit Blick darauf, dass die Lufthansa zudem hohe Profite erzielt und die Wirtschaft sich weiter erholt, zumal gleichzeitig die Inflation weiterhin hoch ist, darf man sich auf eine sehr hohe Forderung der Piloten einstellen. Diesen ist selbstredend bekannt, dass sie die Airline mit ihren Streiks lahmlegen können und haben in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass sie in einem Konflikt auch für gleich mehrere Streiktage zu haben sind.
Als wäre das noch nicht genug, darf man sich im Herbst darauf einstellen, in den Nachrichten wieder öfter den resolut auftretenden Claus Weselsky zu sehen. Zum 31. Oktober enden nämlich auch die Tarifverträge der Lokführergewerkschaft GDL, die in den letzten Jahren bereits mehrfach das ganze Land für viele Tage lahmgelegt hat. Betroffen wären hier neben den Fernzügen auch wieder Nahverkehrszüge, die von der Bahn betrieben werden, also etwa die S-Bahn in vielen Städten. Allzu viel Hoffnung auf eine Einigung ohne Streik – wie man sie letztes Jahr etwa bei den Flugbegleitern und dem Bodenpersonal der Lufthansa gesehen hat – sollte man dabei nicht haben, hat in diesem Jahr doch sogar die ansonsten im Vergleich eher zahme GDL zu relevanten Streiks aufgerufen.
Fazit zum erwartbaren Streikjahr in Deutschland
Hohe Inflation, sprudelnde Gewinne der Unternehmen und auslaufende Tarifverträge – das Jahr 2023 ist ein Pulverfass mit Blick auf Arbeitsniederlegungen. Dabei sollte man nicht glauben, dass das Schlimmste schon überstanden ist, denn die aktuellen Streiks sind nur ein Vorgeschmack auf das, was noch im Laufe des Jahres zu erwarten ist. Von den Piloten bis zu den Lokführern dürften uns nach dem Ende der aktuellen Auseinandersetzung schon bald weitere Streiks erwarten, die möglicherweise noch einmal schärfer ausfallen als das, was wir bislang gesehen haben. Dass Ende des Jahres dann weitere Tarifverträge auslaufen, dürfte mit Blick auf Reisen für den Jahresstart 2024 ebenfalls nichts Gutes bedeuten.