Inmitten der grössten Krise der Luftfahrt scheint das Thema Nachhaltigkeit präsenter als je zuvor zu sein. Ist das Zufall oder tut sich wirklich mittlerweile mehr in diese Richtung? Wir geben einen kleinen Überblick.
Wenn man etwas mehr als ein Jahr zurückblickt, stehen wir sicherlich nicht dort, wo wir uns einst gesehen haben – das Ausmass, das die Covid-19-Pandemie auf unseren Alltag, das wirtschaftliche aber auch soziale Zusammenleben hatte, lag ausserhalb jeglicher Vorstellungskraft. Doch kann die Krise auch eine Chance sein? In einigen Bereichen lässt sich die Antwort auf diese Frage leicht finden – die lange verschlafene Digitalisierung zum Beispiel wurde gezwungenermassen vorangetrieben und ist nun aus dem privaten, beruflichen und schulischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Nachhaltigkeit – ein anderes wichtiges Thema unserer Zeit – aus? Wir haben das Thema bereits im Allgemeinen beleuchtet, wollen heute aber noch einmal konkret auf den Aspekt der Luftfahrt eingehen. Wie hat oder wird die Corona-Pandemie den Sektor in Hinblick auf die Nachhaltigkeit verändern?
Zwischen Stillstand und Innovation
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Aviatik-Sektor – mit einigen kleinen Ausnahmen – stetig gewachsen. Gleiches war auch für die Jahre 2020 und 2021 vorgesehen. Doch bekanntlich kam alles anders. Im vergangenen Jahr sahen wir einen Luftverkehr wie zuletzt im Jahr 1999. Zwischen vollständigem Stillstand und Minimalkapazitäten hangelten sich die Airlines – häufig gestützt durch staatliche Hilfspakete – durch die vergangenen Monate. Dennoch liess sich in dieser Zeit beachtliches beobachten. Aus der Not erwuchsen Chancen und die Luftfahrtindustrie zeigt, dass Unternehmen, die sich scheinbar unüberwindbaren Herausforderungen mit Innovationskraft, Kreativität und technologischem Fortschritt stellen, auch an Krisen wachsen können – wenn auch nicht in dem Umfang, der vorher den gängigen Massstab darstellte.
Ein ganz plastisches Beispiel für die Innovationskraft, die aus der Krise erwächst, zeigte kürzlich die japanische Fluggesellschaft All Nippon Airways. Infolge der Corona-Pandemie entwickelte sie die ersten freihändigen Toilettentüren in Flugzeugen, um weitere Berührungspunkte zwischen den Passagieren zu vermeiden.
Aber immer mehr Airlines und Luftfahrtunternehmen verpflichteten sich in der letzten Zeit auch zu Nachhaltigkeitsinitiativen – sei es die Reduktion von Plastikmüll, das Nutzen von nachhaltigen Flugkraftstoffen oder die verstärkte Forschung an Wasserstoff- und Elektroantrieben. All diese Dinge sind nicht günstig – gerade wenn ein Unternehmen eigentlich an allen Ecken und Enden sparen muss. Doch es scheint, als hätte eine Art Umdenken stattgefunden. In einer Umfrage der WHU, bei der mehrere hundert Branchenexperten befragt wurden, sprachen sich 75 Prozent dafür aus, die Covid-19-Krise als Chance zu nutzen, den Übergang in eine Zukunft mit weniger Emissionen zu bewältigen.
Sustainable Aviation Fuels als Weg aus der Klimakrise
Auch wenn man es im Moment noch nicht ganz glauben mag, gehen viele Branchenexperten von einer vollständigen Erholung des Luftfahrtmarktes bis 2024 aus. Als grösstes Potenzial hin zu einer emissionsärmeren Zukunft wird der Einsatz von Sustainable Aviation Fuels gesehen. Hier haben wir in der vergangenen Zeit schon viel drüber berichtet, doch ist es wirklich beachtlich, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, wie viele Airlines und auch Flugzeughersteller sich im letzten Jahr zum Einsatz von SAF bekannt haben. Hier ist ein kleiner Ausschnitt aus den Nachrichten, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten – also zu Hochzeiten der Corona-Pandemie – veröffentlicht haben.
Ein besonderes Beispiel ist dabei sicherlich Finnair und das Land Finnland. Finnland hat sich das Ziel gesetzt, den klimafreundlichsten Luftraum der Welt zu schaffen und Flag Carrier Finnair möchte dies zum einen durch den baldigen Einsatz von Elektroflugzeugen auf der Kurzstrecke – zum anderen aber durch das Tanken von nachhaltigem Kerosin erreichen.
The number one priority on Finnair’s sustainability agenda has been finding ways to achieve a significant reduction in our current fuel consumption levels – such as by reducing aircraft weight, flying more efficiently and planning more direct routes. However, we recognize that SAF is just as essential to achieving our future carbon neutrality goals.
Anne Larilahti, Finnair’s VP Sustainability
Gleichzeitig sollen die Kunden dazu animiert werden, durch Kompensationszahlungen den Einsatz von noch mehr SAF mitzufinanzieren – ähnliches versucht übrigens auch die Lufthansa Gruppe mit ihrer Compensaid App. Denn das ist das Problem an Sustainable Aviation Fuels: Sie sind deutlich teurer als herkömmliches Kerosin. Hier sind viele Organisationen aber auch Regierungen dabei, Regularien zu fordern beziehungsweise zu implementieren. Durch eine Mindestquote für den Einsatz von SAF wären beispielsweise alle Airlines dazu verpflichtet, das Bio-Kerosin zu tanken und es würden keine Wettbewerbsnachteile entstehen, wenn sie es wie jetzt auf freiwilliger Basis täten.
Andere Innovationen nehmen immer mehr Form an
Aber auch neben den Sustainable Aviation Fuels, die bereits eingesetzt werden können, nehmen etwas futuristischere Ideen auch immer mehr Form an. Ein besonderer Vorreiter ist hier Flugzeugbauer Airbus, der trotz anhaltender Krise im ersten Quartal des Jahres 2021 sogar schon wieder Gewinne schreiben konnte. Zwar stammen diese aus dem regulären Geschäft, es zeigt sich aber, dass wirtschaftlicher Erfolg und umfangreiche Forschung an Zukunftsprodukten sich nicht ausschliesst.
So hat Airbus im vergangenen September drei verschiedene Designs für emissionsfreie Flugzeuge mit Wasserstoff als primäre Energiequelle vorgestellt. Anfang dieses Jahres wurde dann eines dieser Designs ausgewählt. An diesem soll nun intensiv weiter geforscht werden, um bis 2035 ein verkehrstüchtiges Flugzeug vorliegen zu haben.
Wie es nach Corona weitergehen könnte
Sicherlich gibt es einige, die sagen, sobald alles zurück zur Normalität ist, werden andere Punkte wieder an der Tagesordnung stehen – und das mag zum Teil sicherlich stimmen. Auch haben viele Akteure der Luftfahrt innerhalb des letzten Jahres stark an ihren finanziellen Reserven gezehrt und verfügen demnach nicht über die möglichen Mittel den zusätzlichen Schritt zu etwas teureren Entwicklungen zu gehen. Aber ich denke, es hat sich dennoch einiges getan, was nachhalten wird. Und zwar nicht nur als Marketing-Massnahmen, sondern als tatsächliche Handlungen. In Zukunft werden Quoten für den Einsatz von SAF immer wahrscheinlicher – in einigen Ländern gibt es sie bereits. Doch hier muss noch einiges geschehen. Es reicht nicht, wenn vereinzelte Länder Initiativen ergreifen, sondern die Klimakrise muss als globales Problem gesehen und behandelt werden. Demnach ist die Antwort auf die Frage, wie die Coronakrise die Aviatik-Branche beeinflusst hat zweigeteilt – es hat sich definitiv viel getan, aber damit auch langfristig die globalen Ziele erreicht werden können, braucht es noch mehr Unterstützung von allen Seiten.