Es hätte eine der grössten Fusionen unter Flugzeugbauern werden sollen: Jetzt wird vermutlich eine Schlammschlacht draus. Boeing hat das Joint Venture mit Embraer abgeblasen, der brasilianische Flugzeugbauer ist erzürnt.
Vor einigen Monaten hatte Boeing in Reaktion auf einen Deal zwischen Airbus und Bombardier – der europäische Flugzeugbauer hatte die damalige C-Series übernommen – eine engere Zusammenarbeit mit Embraer angekündigt. Der brasilianische Flugzeugbauer war lange neben Bombardier der wichtigste Spieler im Markt für kleinere Verkehrsflugzeuge. Nach dem Airbus-Deal mit Bombardier wollte sich Boeing durch ein Joint Venture mit den Brasilianern stärken und selbst auf dem Markt für kleinere Jets angreifen. Daraus wird nun nichts, stattdessen droht ein langes juristisches Nachspiel.
Boeing sieht vertragliche Verpflichtungen nicht eingehalten
In einer am Samstag veröffentlichten Stellungnahme, hat Boeing bekannt gegeben, dass Embraer bestimmten vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sein. Konkret wird das US-Unternehmen dabei nicht. Der Vertrag sah zum 24. April eine Kündigungsmöglichkeit vor, sofern einer der beiden Partner nicht allen Pflichten nachgekommen ist. Konkret wird Boeing in der kurzen Stellungnahme nicht. Stattdessen gibt es nur ein kurzes Statement von Marc Allen, der bei Boeing die Rolle des ‘President of Embraer Partnership & Group Operations’ innehat:
Boeing has worked diligently over more than two years to finalize its transaction with Embraer. Over the past several months, we had productive but ultimately unsuccessful negotiations about unsatisfied MTA conditions. We all aimed to resolve those by the initial termination date, but it didn’t happen. It is deeply disappointing. But we have reached a point where continued negotiation within the framework of the MTA is not going to resolve the outstanding issues.
Laut Allen waren die Verhandlungen über bestimmte nicht erfüllte Bedingungen des Vertrages (MTA steht für Master Transaction Agreement) ausschlaggebend für die Kündigung des Vertrages. Weitere Verhandlungen seien nicht mehr sinnvoll möglich, weil eine Behebung der Probleme innerhalb des geplanten Zeitrahmens nicht mehr möglich sein. In keinem einzigen Wort wird Boeing dabei konkreter und erklärt, welche Teile des Vertrages nicht eingehalten wurden. Dass genaue Vertragsdetails und deren Nichterfüllung nicht an die Öffentlichkeit getragen werden, ist dabei keine besondere Neuigkeit. In diesem Kontext ist die Sache allerdings verzwickt, da Embraer sich nur kurz nach dem Statement mit einem überraschend scharfen Statement zu Wort gemeldet hat.
Embraer möchte Boeing auf hohen Schadensersatz verklagen
Dass die Absage von Boeing noch relevante Folgen hat, zeigen die von Embraer nach dem verkündeten Aus gewählten Worte. So heisst es von den Brasilianern gegenüber Reuters:
Embraer believes strongly that Boeing has wrongfully terminated the (agreemenet).
Weiter erklärt der Konzern, dass man mit allen Mitteln dafür kämpfen werde, Schadensersatz von Boeing zu erstreiten – eine harmonische Trennung sieht zweifelsfrei anders aus. Im Vertrag soll es laut Reuters eine Klausel geben, die bei einer einseitigen Auflösung des Vertrags eine Strafe von 100 Millionen US-Dollar vorsieht. Allerdings will Embraer wohl auf deutlich höhere Summen klagen, da es sich laut dem brasilianischen Konzern nicht um eine rechtmässige Kündigung des Vertrages gehandelt habe. Auch Embraer ist in dem Statement nicht weiter darauf eingegangen, aus welchem Grund der Vertrag genau gekündigt wurde. Beide Seiten scheinen allerdings davon überzeugt, dass sie nichts falsch gemacht haben. Es kündigt sich demnach ein längeres juristisches Nachspiel an, das beide Flugzeugbauer allerdings weiter belasten könnte.
Für Embraer allerdings geht es um viel, denn für das Joint Venture hatte der Konzern seit Monaten daran gearbeitet, die Produktionsstätten und alle anderen Teile des Unternehmens aufzuteilen: In das Joint Venture wären nur die Passagierflugzeuge eingebracht worden, nicht aber die Businessjets und Militärflugzeuge. Entsprechend war es notwendig, dass Embraer den gesamten Konzern umbaut – damit war das Unternehmen nach Medienberichten bereits weit fortgeschritten. Entsprechend teuer werden könnte es für die Brasilianer, den gesamten Konzern nach dem Scheitern des Joint Ventures erneut umzubauen.
Spekulationen über Absage wegen des hohen Kaufpreises
Durch die Krise rund um das Coronavirus hat sich der Markt der Fluggesellschaften enorm verändert. Wegen der neuen Gemengelage hat PGL den Kauf von Condor abgesagt, IAG möchte einen Rabatt bei der Übernahme von Air Europa. Doch nicht nur die Airlines, auch die Flugzeugbauer haben in den letzten Wochen signifikant an Wert verloren. Am Beispiel von Embraer zeigt sich das besonders eindrucksvoll: Der Konzern ist an der Börse nur noch etwas mehr als eine Milliarde Euro wert – wohlgemerkt inklusive aller drei Sparten, also Passagierflugzeugen, Militärjets und den Geschäftsflugzeugen.
Der Deal mit Boeing allerdings sieht vor, dass die Amerikaner einen Betrag von 4,2 Milliarden Euro für 80 Prozent der Anteile an der Passagierflugzeugsparte bezahlen. Das wäre geschätzt etwa der fünffache Preis dessen, was dieser Teil von Embraer aktuell an der Börse wert ist. Die anderen 20 Prozent der Anteile wären weiterhin bei dem brasilianischen Konzern verblieben. Es ist schwer davon auszugehen, dass Boeing und auch kein anderes Unternehmen nach der Krise rund um das Coronavirus noch bereit wäre, einen so hohen Betrag für den Kauf der Embraer-Sparte zu bezahlen. Entsprechend deutet vieles darauf hin, dass Boeing auf der Suche nach einem Weg heraus aus dem Kaufvertrag war und deshalb eine Kündigung erzwungen hat.
Dies ist auch insofern relevant, als Boeing selbst mit enormen Problemen zu kämpfen hat. Die Boeing 737MAX ist weiterhin am Boden, wann sie in den Dienst zurückkehrt, ist weiterhin offen. Dazu kommt, dass die aktuelle Krise bereits für die Absage von Bestellungen gesorgt hat, neue Order für Passagierjets erhält der Konzern aus Seattle nahezu überhaupt nicht mehr. Vielmehr ist davon auszugehen, dass weitere Bestellungen wegbrechen oder Kunden gar in die Insolvenz müssen. Boeing möchte zudem sogar staatliche Hilfen. Ein teures Joint Venture macht sich wenig gut, wenn man sich gleichzeitig mit Steuergeldern retten möchte.
Fazit zum abgesagten Joint Venture von Boeing und Embraer
Dass Boeing in aktuellen Zeiten nicht mehr für mehr als vier Milliarden Euro einen anderen Flugzeugbauer übernehmen möchte, überrascht keineswegs. Doch das Statement von Embraer deutet darauf hin, dass diese Entscheidung für Boeing sehr teuer werden könnte. Die Folge der Absage wird mit Sicherheit ein langer Streit vor Gericht sein, das Klima zwischen beiden Unternehmen wird auf absehbare Zeit vergiftet sein. Dabei ist klar, dass beide Unternehmen in den nächsten Monaten und Jahren wohl eigentlich mit anderen Problemen zu kämpfen haben, denn der Wertverfall an der Börse deutet schon jetzt darauf hin, welche enormen Schwierigkeiten auf beide Firmen zukommen – auch ganz ohne ein Joint Venture.