Die letzten Wochen waren gespickt von negativen Meldungen rund um die Lufthansa. Doch wie lässt sich der Misere der Kernmarke erklären, während die Töchter aufblühen? In einem strategischen Dilemma.

Der Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens misst sich am Ende fast immer an dem, was am Ende als Umsatzwachstum oder Gewinn bleibt. In diesem Kontext hat die Lufthansa Group für das erste Halbjahr an sich keine schlechten Zahlen vorgestellt. Das Problem daran: Erfolgreich ist nur die Lufthansa Group und eben nicht die Stammmarke Lufthansa. Man hat das Gefühl, dass die deutsche Traditionsairline ein Sinnbild der aktuell stockenden Wirtschaft im Lande geworden ist. Die gewählten Lösungsansätze erscheinen zudem aus Kundensicht zweifelhaft, insbesondere weil es an einer klaren Strategie und einem klaren Ziel fehlt.

Die Zitrone ist immer noch nicht ausgepresst

Vor nun mehr zehn Jahren im Jahr 2014 hat der damalige Lufthansa-Chef Christoph Franz einen mittlerweile förmlich legendären Satz gesagt: “Die Zitrone ist noch nicht ausgepresst”. Die Belegschaft und auch die Passagiere hofften nach dem Abgang von Franz, dass sich ein strategischer Wandel einstellen würde, weg von Programmen wie Score hin zu einem Wachstum durch Verbesserung und Innovation. Geworden ist daraus nichts, auch in den vergangenen Jahren hatte man das Gefühl, dass Gewinne für den Konzern nicht über Wachstum oder Qualitätsverbesserungen entstehen sollen, sondern primär durch Kürzungen. Eben durch eine noch weitere ausgepresste Zitrone.

Die Lufthansa legt den Fokus auf Kostensenkungen

2014 war die Lufthansa immerhin noch eine Airline, die in jedem Economy Class Tarif kostenfreies Gepäck sowie Speisen und Getränke an Bord bot. Das Miles & More Programm war auch ohne einen Doktortitel noch einigermassen einfach nutzbar sowie attraktiv und das Bordprodukt war konkurrenzfähig, ja sogar gegenüber einigen Konkurrenten führend. Heute kann man die Lufthansa auf Strecken innerhalb von Europa nur noch marginal von einem Günstigflieger unterscheiden, Vielflieger sind frustriert und zeigen das nicht nur bezüglich des Loyalitätsprogramms, sondern auch mit Blick auf die Weiterempfehlung. Dass das Bordprodukt gegenüber der Konkurrenz komplett zurückgefallen ist, scheint mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.

Strategisches Hin und Her zwischen Billigflieger und Premiumairline

Besonders problematisch erscheint hinsichtlich der Strategie der Lufthansa-Kernmarke, dass man so gar nicht weiss, was man eigentlich sein möchte. Immer wieder wechseln sich Phasen ab, in denen die Fluggesellschaft aus dem Nichts wieder zu einer führenden Airline werden möchte. Sobald ein Sparprogramm rum ist, will man auf einmal wieder eine 5-Sterne-Airline werden. Wenn der Net Promoter Score einbricht, werden massive Verbesserungen für die Passagiere versprochen – mehr Premium und weniger Low-Cost heisst es dann.

Wenige Monate – das zeigt sich aktuell wieder mehr als deutlich – ist es mit der Charmeoffensive dann rasch wieder vorbei. Erst gibt es Gerüchte um eine Rückkehr von ausgewählten kostenfreien Getränken auf der Kurzstrecke, dann streicht man Passagieren auch auf der Langstrecke, kostenfrei einen Sitzplatz auszuwählen. Erst kündigt man an, dass man das Miles & More Programm für Passagiere einfacher und verständlicher machen möchte, dann macht man die bislang attraktivste Prämie durch Nicht-Verfügbarkeiten und massiv erhöhte Zuschläge kaputt. Dies sind nur einige Beispiele von vielen, die das strategische Dilemma der Airline zeigen.

Von mehr Premium ist für Kunden der Lufthansa wenig zu spüren

Selbst im Kleinen scheint man nicht zu wissen, was man will. War es in den letzten Jahren etwa immer strategisch gegeben, dass die Kapazitäten in München und nicht mehr in Frankfurt wachsen sollten. Auf einmal folgen dann massive Streckenstreichungen auf der Langstrecke am bayerischen Hub, nicht aber am hessischen. Hiess es vor weniger als zwei Jahren noch, dass in München First Class Kapazitäten fehlen, sollen die wenigen verbliebenen Maschinen mit First Class nun im Winter geparkt oder nach Frankfurt verschoben werden, sodass die Kapazitäten nahe an die Nulllinie reduziert werden.

Erfolgreiche Töchter mit klarer Strategie

Fraglich erscheint dabei, warum man bei der Lufthansa strategisch so grosse Probleme hat, obwohl man bei den Töchtern durchaus erfolgreich arbeitet. Zwar ist man hier nicht insofern stringent unterwegs, als man allen Töchtern dieselbe Strategie aufbürdet, aber man ist im Detail finanziell erfolgreich. Die Swiss schreibt mit ihrer Premiumstrategie seit einigen Jahren (mit Ausnahme von Corona) problemlos schwarze Zahlen, auch wenn man als Passagiersicht möglicherweise nicht immer das Gefühl hat, mit einer Premiumairline zu fliegen.

Bei der Schweizer Premiumtochter wirkt die Strategie ausgereifter

Selbst die über Jahre darbende Tochter Brussels Airlines, denen mehr oder weniger eine Billigflieger-Strategie übergestülpt wurde, scheint mittlerweile auf einem guten Weg in ihrer ganz eigenen Nische zu sein. Sogar Eurowings, im Grunde die ungeliebte Tochter für all die Strecken, welche die Lufthansa selbst nicht profitabel betreiben konnte, scheint mittlerweile strategisch klarer und erfolgreicher unterwegs als die Kernmarke des Lufthansa-Konzerns.

Es scheint sich im Lufthansa-Konzern, aber auch mit einem Blick auf andere Airlines – von Low-Cost bis Premium – auszuzahlen, eine klare Strategie zu haben. Das eine oder das andere und eben nicht das Beste (oder Schlechteste) aus beiden Welten.

Zeit für eine Entscheidung über die Zukunft von Lufthansa

Damit die Lufthansa zukünftig wieder eine höhere Kundenzufriedenheit aufweisen kann und auch finanziell erfolgreich wird, braucht es eine finale strategische Entscheidung: Günstigflieger oder Premiumairline? Will man sich im Wettbewerb mit einer Fluggesellschaft wie Air France, Delta oder Singapore Airlines (jeweils mit ihren regionalen Besonderheiten) messen und beim gesamten Erlebnis vom Bordprodukt bis zum Service zu den weltweit besten Airlines gehören? Dann muss man auch entsprechende Investitionen tätigen.

Die neue Allegris Business Class allein wird der Lufthansa nicht reichen

Will man beim Preis mit easyJet, Ryanair oder auch Iberia und TAP Portugal mithalten? Dann gilt es, die Kosten weiter zu drücken und noch mehr Leistungen zu streichen – etwa das kostenfreie grosse Handgepäckstück. Schön wäre das aus Passagiersicht nicht, aber es wäre endlich eine klare Strategie und man wüsste schlicht, was man bekommt. Genau so ist es nämlich, wenn man beispielsweise mit easyJet oder Ryanair fliegt. Man erwartet (fast) nichts und ist dann am Ende zufrieden, wenn man genau das bekommt.

Bleibt die Frage: Will sich die Lufthansa entscheiden und so den Weg zurück zum Erfolg finden oder geht das strategische Hin und Her auch in den kommenden Jahren weiter?

Autor

Moritz liebt nicht nur Reisen, sondern auch Luxushotels in aller Welt. Auf der Suche nach neuen Erlebnissen hat Moritz schon dutzende Airlines getestet und mehr als 100 Städte erkundet. Auf reisetopia lässt er Euch an seinen Erlebnissen & Tipps teilhaben!

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