Die Meldungen über neue Akquise-Ziele der Lufthansa Group reissen nicht ab. Doch ist eine weitere Expansion mit Blick auf das Wettbewerbsrecht und die hauseigenen Probleme überhaupt realistisch?
Nach einer langen Hängepartie ist es der Lufthansa vor einigen Monaten endlich gelungen, den Einstieg bei der italienischen ITA Airways zu finalisieren. Bis zur vollständigen Integration soll es allerdings noch bis ins Jahr 2027 dauern. Dennoch will die Lufthansa durch Zukäufe weiter wachsen. Diverse Gerüchte machen dabei die Runde, etwa bezüglich TAP Air Portugal, Air Europa oder zuletzt auch airbaltic. Doch sind weitere Beteiligungen überhaupt ein realistisches Szenario?
Finanziell gut aufgestellt für weitere Übernahmen
Ein erster kritischer Blick darf bei der Lufthansa sicherlich bezüglich der Finanzen erlaubt sein, denn im ersten Halbjahr 2024 lief es bei Weitem nicht mehr so gut wie ein Jahr zuvor. Auch die ITA Airways-Übernahme kostet inklusive der Kosten der Integration viele hundert Millionen Franken. Dennoch scheinen auch weitere Übernahmen im kleinen bis mittleren Bereich möglich, wenn man einen Blick auf die Finanzlage der Lufthansa wirft.
So hat die Lufthansa nicht nur einen vergleichsweise hohen Free Cash Flow im Bereich von zwei Milliarden Euro (rund 1,89 Milliarden Franken), sondern hat in den letzten beiden Jahren auch einen Gewinn vor Steuern von insgesamt über drei Milliarden Euro (rund 2,84 Milliarden Franken) erzielt. Selbst wenn man die fälligen Kredite abzieht, steht die Lufthansa finanziell solide genug da, um etwa eine Teil-Übernahme der TAP Air Portugal zu stemmen.
Allerdings sollte man nicht den Trend aus dem Blick verlieren, denn wenngleich es zumindest im Gesamtkonzern Lufthansa Group aktuell finanziell gut aussieht, war der Trend in den letzten Quartalen negativ. Mit jeder weiteren Übernahme erhöht sich entsprechend auch das Risiko, insbesondere weil die potenziellen Übernahmeziele zu Beginn allen voran Kosten verursachen und rote Zahlen schreiben werden.
Weitere Konsolidierung ist wettbewerbsrechtlich denkbar
Ohne Frage hat sich die Europäische Kommission in den letzten Jahren beim Wettbewerbsrecht profiliert und die eine oder andere grössere Übernahme verhindert. Doch grundsätzlich stehen die Chancen der Lufthansa Group bei weiteren Übernahmen nicht allzu schlecht, zumindest mit grösseren Zugeständnissen.
Das zeigt sich auch daran, dass die Kommission am Ende sowohl der ITA-Übernahme durch die Lufthansa als auch der Teil-Übernahme von SAS durch Air France und KLM zugestimmt hat. Vornehmlich das positive Votum zum Lufthansa-Deal war gewissermassen eine Überraschung, spielt die Lufthansa Group auf dem italienischen Markt doch heute schon eine enorm grosse Rolle – insbesondere mit Blick auf Langstreckenverbindungen über ihre Hubs in Deutschland und der Schweiz.
Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass auch bei anderen Übernahmeambitionen der Lufthansa grundlegend auf grünes Licht gehofft werden dürfte. Deutlich wird das etwa am Beispiel der TAP Portugal, die geografisch für die Lufthansa eine ganz neue Region erschliessen würde und ihre Stärken speziell im Brasiliengeschäft hat.
Generell auf dem südamerikanischen Markt ist die Lufthansa Group bislang eher schwach, auf dem iberischen Markt zumindest nur ein Spieler von vielen. Dass die Air Europa-Übernahme durch British Airways gescheitert ist, dürfte also nicht unbedingt ein schlechtes Omen sein. Sowohl hinsichtlich Air Europa als auch mit Abstrichen bei TAP Portugal dürften die wettbewerbsrechtlichen Bedenken lösbar sein.
Weitere Konsolidierung erscheint unausweichlich
Nun ist es fraglos so, dass Fusionen aus Sicht von Passagieren meist keine guten Nachrichten bedeuten, allerdings ist ein gewisser Realismus mit Blick auf den europäischen Luftfahrtmarkt notwendig. Nimmt man Asien aus, gibt es auf den verschiedenen Kontinenten meist nur zwei bis fünf Netzwerk-Fluggesellschaften, die auch auf der Langstrecke aktiv sind. In Südamerika dominieren diesen Markt beispielsweise Avianca und LATAM, in Ozeanien sind es Qantas und Air New Zealand.
Selbst im kompetitiven nordamerikanischen Markt teilen sich Air Canada, Delta, United und American Airlines den wichtigen Langstreckenmarkt im Grunde unter sich auf. Zwar gibt es auch hier noch kleinere Konkurrenten wie WestJet oder Jetblue, aber ernst zu nehmende Marktanteile haben diese im Vergleich zu den grossen Netzwerkfluggesellschaften gerade auf der Langstrecke nicht.
In Europa dürfte es in den nächsten Jahren darauf hinauslaufen, dass die drei grossen Airline-Gruppen (IAG, Lufthansa & Air France-KLM) den Langstreckenmarkt unter sich aufteilen. Die zurückliegenden Teil-Übernahmen von AerLingus (IAG), SAS (Air France-KLM) und ITA Airways (Lufthansa) zeigen den Weg bereits auf. Weitere Konkurrenten wie Air Europa, TAP Portugal oder auch LOT könnten folgen.
Grosse Gruppen müssen den eigenen Markt verteidigen
Mit Blick auf den schwierigen Luftfahrtmarkt erscheint diese Konsolidierung sogar unausweichlich. Nun will man sicherlich nicht amerikanische Verhältnisse erreichen, was Flugpreise angeht. Allerdings sollte man auch im Hinterkopf haben, dass fast alle europäischen Airlines in den letzten Jahren und Jahrzehnten teils mehrfach vom Staat gerettet werden mussten (wohlgemerkt gilt das auch für US-Pendants). Entsprechend müssen die Gruppen schlicht stärker, grösser und resilienter werden, um auch in schwierigen Phasen bestehen zu können.
Das gilt umso mehr, als der europäische Luftfahrtmarkt sich nicht nur um sich selbst dreht. Indessen mag mehr Wettbewerb immer eine gute Sache sein, doch die Wettbewerbsnachteile vieler europäischer Airlines sind schon heute nicht zu übersehen. Auf Flügen in den arabischen Raum haben die Europäer gegen die arabischen Konkurrenten kaum mehr eine Chance und selbst auf dem Transatlantikmarkt nehmen US-Konkurrenten Lufthansa & Co Marktanteile ab, indem sie beispielsweise verstärkt Direktflüge zu beliebten Zielen in Südeuropa anbieten.
Eine Konsolidierung allein wird diese Nachteile nicht wettmachen, aber sie wird die Situation der Fluggesellschaften dennoch stärken. Ganz nach dem Motto “eine Kröte muss man schlucken” sollte man einer weiteren Konsolidierung positiv gegenüberstehen, denn ein resilienter europäischer Luftfahrtmarkt mit einigen starken Spielern ist besser als ein Markt, der grossenteils von Konkurrenten aus anderen Teilen der Welt dominiert wird.
Nicht zuletzt werden im innereuropäischen Markt Günstigflieger auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen – deutlich stärker als in anderen Weltregionen. Eine regulierende Wirkung auf die Flugpreise wird also auch weiterhin vorhanden bleiben.